Offene
Rechnungen...
oder...Wenn ich auf Reisen gehe, packe ich in mein Köfferchen...
Von Colin Aleksander Vaupel
Bedanken möchte ich mich für die Inspiration zu dieser kleinen Erzählung bei
meiner lieben Freundin und zeitweiligen Produzentin für schöne kreative TV -
Kindergeschichten Uta Söhr. Anlässlich eines Fluges nach England mit
Zwischenlandung in Amsterdam
sprachen wir so über das Leben und ich brachte meinen Kummer zum Ausdruck,
so einigen Menschen vielleicht etwas nicht mehr rechtzeitig genug gesagt zu
haben bzw. nicht mehr gesagt haben zu können.
„Irgendwann wirst Du die Möglichkeit dazu bekommen Colin.“ sagte Uta nur.
Vielleicht hatte Uta recht, vielleicht werde ich die Gelegenheit eines Tages
bekommen, eines Tages, wenn ich zum Vater im Himmel komme, vielleicht.
Tage später jedenfalls fing ich an zu schreiben.... Ich war verblüfft, wie
mir so vieles aus meinem nun fast 50-jährigen Leben so plötzlich wieder vor
meinem geistigen Auge einhertanzte. Das hätte ich nie für möglich gehalten.
Ich werde so etwas jetzt öfters versuchen, ein besseres Fernsehprogramm gibt
es nicht.
Wenn
der Mensch auf die letzte Reise geht, kann er nichts mitnehmen sagt man.
Falsch. In meinem Testament wird stehen: “Legt mir diese Zeilen in die Hand;
ich brauche sie, falls ich, oben angekommen, vergessen haben sollte, bei wem
ich mich für was entschuldigen wollte. Bei wem ich mich über irgendetwas
beschweren, für etwas bedanken wollte, wem ich vielleicht auch nur vergessen
habe etwas zu sagen, bevor es zu spät war.“
Susanne zum Beispiel, Susanne Schmidt. Als wir uns das letzte mal getroffen
haben, war sie sauer auf mich und ich habe sie dann leider nie wieder
gesehen. Susa mit ihren großen hellblauen Augen dem fast weißen Teint und
den blonden, dünnen, nackenlangen Haaren verunglückte auf der Heimfahrt von
einem Radiosender tödlich. Rotbäckchen ist nicht mehr, ist auf einmal nicht
mehr da.
Ja, ich muss oft an sie denken; vielleicht auch deshalb, weil ich ihr nie
mehr sagen konnte, dass ich sie sehr gemocht habe, auch nach dem Ärger; und
dass er mir leid getan hat, unser Streit. Dass er mir leidgetan, mich aber
auch sehr verletzt hat.
Wo fange ich an? Mit wem fange ich an? Von manchen habe ich die Namen
vergessen, von einigen habe ich den Namen
nie gewusst, schade eigentlich, aber sie werden ihn mir sagen, wenn
ich angekommen bin. Es kann natürlich sein, dass man dort keine Namen
verwendet. Hoffentlich auch keine Nummern.
Ach ja, bevor ich es vergesse: das muss auch in mein Testament rein: Ein
Säckchen voll mit 5-Markstücken sollen sie mir mit in die Kiste legen. Diese
Zeilen und ein Säckchen mit 5-Markstücken.
Bei Onkel Otto, dem Vater meiner Adoptivmutter und bei Onkel Karl, dem Mann
der Schwester der Mutter meiner Adoptivmutter, mein Gott ist das
kompliziert, ja bei den beiden muss ich mich für das gleiche Delikt
entschuldigen. Beide hatten eine Kneipe Onkel Karl in Eschwege, den
Frankfurter Hof, Onkel Otto eine in Bebra, Eisenbahnknotenpunkt, den Namen
habe ich vergessen.
Den beiden habe ich jedenfalls, so als 12-14-jähriger immer wieder
Fünfmarkstücke aus der Kasse gestiebitzt. Das Schlimme dabei, es wäre gar
nicht nötig gewesen, ich habe sowieso viel von ihnen bekommen.
Von Onkel Karl eigentlich nicht, auch was Gefühl anging, es war o.k., wenn
ich da war, meine Adoptiveltern haben im Service ausgeholfen und ich bin so
rumgerannt; und er das Arbeitstier hat seine halbierten Reval in seiner
zerkauten Zigarettenspitze gedampft, aber deshalb auch nicht weniger als
alle anderen.
Ach ja, bevor ich es vergesse: das muss auch in mein Testament rein: Eine
Schachtel halbierter Zigaretten sollen sie mir mit in die Kiste legen. Diese
Zeilen, ein Säckchen mit 5-Markstücken und eine Schachtel halbierter
Zigaretten.
Im großen Tanzsaal spielte immer eine Kapelle und da habe ich dann
Kontrabass, Gitarre oder, ja, vor allem Schlagzeug gespielt, wenn die
Musiker nicht da waren; und da waren sie eigentlich nur am Wochenende und an
Feiertagen, alles natürlich ohne es zu können. Alles, nicht so natürlich,
ohne es bis heute leider je gelernt zu haben ich Idiot. Vielleicht, oben
angekommen bringt es mit Elvis bei, das Gitarrespielen.
Onkel Otto hat mich immer mit ins Kino genommen. Das war jedes Mal ein
tolles Erlebnis, da gab es Eis - oder Schokolade wenn es im Winter zu kalt
für Eis war und es daher auch gar kein Eis gab. Wir hatten stets einen
Fußweg von zehn, zwölf Minuten zu gehen, immer die Hauptstraße entlang.
Links oben die Bahnstrecke, das Kino war ja fast gegenüber des Bahnhofes,
rechts von uns, etwa in der Mitte unserer Strecke ein Kloster mit richtigen
Mönchen. Geredet haben wir nie oder mir fällt nicht mehr ein über was wir
geredet haben; nein, wir haben nichts geredet,
auch auf dem Weg zum Kino pfiff Onkel Otto nur vor sich hin.
Kein lautes Pfeifen, mehr so ein Melodienpusten. Marschmusik mochte er am
liebsten, Marschmusik und so richtig oberschnulzige Lieder. „Zwei rehbraune
Augen“ und so was.
Der schönste Film, außer den Dick und Doof - Streifen die damals in Mode
kamen; übrigens wie auch die Wildwestfilme mit Fuzzy al Sant Jones, der
schönste Film war ein Kriegsfilm, aber kein brutaler.
„Der Arzt von Stalingrad“, den Titel weiß ich deshalb noch weil ich mich in
dieser Zeit, ich glaube, ich war so 12 Jahre alt, zum ersten mal verliebt
hatte; in die Hauptdarstellerin, eine Ärztin in einem russischen
Gefangenenlager. Leider habe ich auch ihren Namen vergessen; aber vielleicht
sagt sie ihn mir ja, wenn ich sie dann treffe. Halt, ich glaube sie hieß
Deborah Kerr. Ja, ja.
Sie sitzt jetzt wahrscheinlich in Onkel Ottos himmlischer Kneipe und
beobachtet ihn verliebt, wenn er vor sich hinpfeifend zwischen den Tischen
rumschlufft. Vielleicht ist diese Ärztin daran „schuld“ dass ich in meinen
jungen Jahren immer gerne im Krankenhaus war und in so manche Ärztin oder
Krankenschwester verliebt.
Schwester Elisabeth, fast hätten wir in dem kleinen, gerade frei gewordenen
Einzel-, dem Sterbezimmer miteinander geschlafen, .....aber das haben
wir auch bei ihr zu Hause, als ich sie hin und wieder besuchte, nicht getan.
Vielleicht war Elisabeth die wunderbarste Frau, die ich je kennen gelernt
habe. Dunkle, fast schwarze kräftige Haare, Wuschelköpfchen, ein vitales
Gesicht mit wahnsinnig intensiven, großen Kulleraugen, dunkelblau und einem
vitalen, lustvollen Mund.
Elisabeth war Nachtschwester im Kasseler Stadtkrankenhaus. Warum ich dort
war, weiß ich nicht mehr so genau, sie wird es mir sicherlich irgendwann
erzählen. Ich machte mir Sorgen, Sorgen
ob ich mein Kind, das bald zur Welt kommen sollte überhaupt jemals
sehen würde.
Jedenfalls hat sie mir, ich glaube es war ein kleiner grauer Elefant, ein
Stofftier.. oder war es eine Fotografie, an den Nachttisch gehängt.
Ich war nur einer von vielen Patienten, aber mich hat Schwester Elisabeth
wohl sehr gemocht. Doch, es war
ein Foto, das eines gesunden
strammen Jungen.
Onkel Ottos Frau, die Mutter meiner Adoptivmutter, Tante Dora, eigentlich
Oma, aber das konnte ich nie zu ihr sagen. Ihr werde ich wohl ein paar
Fragen stellen müssen. Fragen, die ihr nicht so angenehm sein werden: „Warum
hast Du mich so gehasst?“ „Warum hast Du mich immer angeschnauzt?“ „Warum
hast Du immer gesagt: „Benimm dich, sonst bringt Dich Deine Mutter dahin wo
Du hergekommen bist: Du bist ein Zigeunerkind.“ Ja, das werde ich sie alles
Fragen müssen. All das hat sie wirklich zu mir gesagt. Ich war so 5,6,7
Jahre und älter und habe zu der Zeit noch nicht gewusst, dass ich gar keine
richtigen Eltern habe.
Ich werde sie auch fragen müssen, warum sie mich nie auf den Schoß genommen
hat, obwohl ich wirklich stubenrein war und auch immer saubere Hände hatte.
Vielleicht sollte ich ihr ein paar Zeugnisse mitbringen, damit sie sehen
kann, dass doch etwas aus mir geworden ist.
Oh ja, bevor ich es vergesse: das muss auch in mein Testament rein:
Ein paar Zeugnisse sollen sie mir mit in die Kiste legen.
Diese Zeilen, ein Säckchen mit 5-Markstücken, eine Schachtel mit halbierten
Zigaretten und einige Zeugnisse.
Oh Gott, ich werde wohl als altes Plappermaul verschrien sein, wenn ich
angekommen bin. So viele Menschen, denen ich dann noch was sagen muss. Mein
Schulfreund, der immer so lieb war, mindestens einen Kopf größer war er als
ich, mit vielen Pickeln im Gesicht. Auf dem nach Hause weg habe ich ihm
eines Tages einfach eins aufs Maul gehauen, ohne zu wissen warum, ohne dass
er mir was getan hätte. Am nächsten Tag in der Schule war ich dann wieder
der erste, der ihm geholfen hat, als er einen seiner epileptischen Anfälle
hatte.
Ich habe mich niemals im Leben geprügelt. Warum nur gerade an diesem Tag und
an jenem, an dem ich gerade 7 Jahre alt war?
Aufs Maul hauen, bis heute habe ich nicht herausgefunden warum ich das getan
habe. Nicht weit von der Wohnung in der meine Eltern und ich in Eschwege
wohnten war ein Geschäft und vor der Tür stand ein Kinderwagen mit einem
Baby drin... dem habe ich einfach eine Ohrfeige gegeben. Warum nur?
Vielleicht gibt mir dieses Baby eine Antwort irgendwann. Vielleicht sogar
noch bevor ich ankomme, nein, ich glaube doch erst dann.
Noch so eine Frage, die mir quälend auf der Seele liegt: kommen Hunde
eigentlich auch in den Himmel? Wenn ja, muss ich als erstes Astor, meinen
Hund etwas fragen. Astor war eine Mischung aus Cockerspaniel und noch was,
Spitz oder so, obwohl er eigentlich, bis auf die kurzen Ohren, ausgesehen
hat wie ein Cocker, schwarz weiß mit unheimlich lieben Augen. Ich habe ihn
über alles geliebt und ich glaube er mich auch.
Als ich ihn eines Tages steif in seinem Körbchen in der Besenkammer fand
habe ich ihn in einen Karton gepackt und zum Tierarzt getragen,
tränenüberströmt.
An was er gestorben ist, haben wir nie herausgefunden, er war zwar schon so
an die 14 Jahre, aber bis zum Vortag seines Todes noch bumsfidel.
Ja Astor, ich muss Dich unbedingt fragen ob Du mir noch böse bist. Eines
Tages, wir waren in unserer Schottener Wohnung, Buzzi unsere grauweiße
Katzenfreundin war irgendwo draußen im Garten, da habe ich Dich urplötzlich
am Hals gepackt und gewürgt, Du hast mich nicht einmal gebissen.
Anschließend haben wir wieder gespielt. Ich habe Stöckchen oder einen
Tennisball geworfen und Du hast mir den Gefallen getan, mir alles immer
wieder zurückzubringen. Warum
habe ich Dir nur den Hals zugedrückt, Astor? Warum habe ich Euch geohrfeigt,
Schulfreund und Baby im Kinderwagen?
Alf Sch. ist vor einiger Zeit von uns gegangen. Ob wir Freunde waren?
Irgendwie schon. Ein paar Tage vor seinem Tod, er ist an Krebs gestorben,
ein paar Tage vor seinem Tod habe ich ihn noch besucht. Eigentlich wollte
ich ihm sagen, dass ich damals mit seiner Frau Christine geschlafen habe.
Gut die Ehe war da schon kaputt, und Alf war nicht ganz unschuldig daran,
aber ich wollte es ihm sagen... Hast Du es gespürt, dass ich es Dir sagen
wollte, hast Du es gewusst. Vielleicht reden wir mal darüber, wenn wir da
oben eine Runde Skat spielen.
Oh ja, das muss auch in mein Testament rein: ein paar Spielkarten sollen sie
mir mit in die Kiste legen. Diese Zeilen, ein Säckchen mit 5-Markstücken,
eine Schachtel halbierter Zigaretten, einige Zeugnisse und ein paar
Spielkarten.
Noch jemand, den Bruder Krebs dahin gerafft hat: Dante, Dante Cairoli, ein
richtiger Künstler. Vom Typ her mit seinen schulterlangen grauen Haaren, der
hohen Denkerstirn, seinen klugen Augen, der riesigen Nase; und auch sonst:
Organist in der Kirche, der vom Herrn die Gabe erhalten hatte, auch selbst
wunderschöne Stücke zu komponieren und ein guter
Klavierlehrer zu sein. Und dann war er auch noch ein hervorragender
Billardspieler.
Ohne ihn wäre mein bester Freund Gino nie so ein begnadeter Musiker
geworden. Dante war mit seinen fast 60 Jahren der Jüngste von uns, Gino,
meinem besten Freund und mir. Dennoch wollte ich ihn nicht mit in unseren
Urlaub nehmen, wollte Dante einfach nicht dabei haben. Warum weiß ich
eigentlich gar nicht, nur, als er plötzlich nicht mehr war, hat mich diese,
meine Gemeinheit ganz schön traurig gemacht.
Eigentlich schon ein dreiviertel Jahr vorher, als ich ihn in Pavia im
Krankenhaus besucht habe. Nur noch ein Schatten seiner selbst war er.
Das Krankenhaus, ein richtig altes, graues wie grausiges Gemäuer, durch das
die Mönche wie Geister wandelten, schien aus dem Mittelalter zu stammen.
Alles war dunkel und in dieser Dunkelheit lag Dante irgendwie auf einmal
klein, klein und allein in einem unwirklich scheinenden Raum.
Das faszinierende war, ich habe nur ganz leise seinen Namen geflüstert und
er mit kaum vernehmbarer Stimme hauchte sofort meinen Namen: „Allesandro,
come mei, tu sei qui?“
Plötzlich fühlte ich, wie groß seine Liebe, seine Sympathie für mich all die
Jahre über gewesen sein muss. Er hat es gewusst, dass ich komme. Er hat es
gewusst, ohne dass es ihm jemand gesagt hätte, gesagt haben konnte; wusste
ich doch selber ein paar Stunden vorher nicht ob und wann ich ihn suchen und
besuchen würde.
„Come mei, tu sei qui.?“
Wie kommt es dass Du hier bist. Und dann, so schwach wie er war, wieselflink
stand er auf einmal vor seinem Bett um mich zu umarmen. Lange bin ich nicht
geblieben, viel zu schnell fiel Dantino wieder in sich zusammen und ich kam
mir so verdammt hilflos vor. Hilflos, obwohl ihm vielleicht mein Besuch
gerade die Kraft gegeben hat, sich doch noch ein letztes mal aufzurappeln.
Ja vielleicht geht das auf die Habenseite meines Lebenskontos.
Auf einer viel zu langen Autofahrt über 600 Km durch die Nacht dachte ich
zum ersten Mal darüber nach, warum ich ihn damals einfach nicht mitnehmen
wollte; konnte ich doch noch nicht wissen, dass er sich zu einem wirklichen
Don Juan entwickelte. Nein, Mädels hat er uns dennoch nicht ausgespannt,
dazu war er ein viel zu fairer Kerl.
Auch ein halbes Jahr später, als ich ihn das letzte Mal in Como sah, seine
unheimliche Kraft und Liebe zum Leben hatte es ihm ermöglicht sich noch
einmal gegen diesen grausamen Krebstod aufzubäumen, nein auch dann habe ich
mich nicht bei ihm entschuldigt. Vielleicht irgendwie kurze Zeit später, als
ich ihm einen letzten Kuss auf seine kalte Stirn hauchte, oder an dem Tag,
an dem man seinen Sarg in dieses hässliche Loch in dieser Mauer schob. Nie
werde ich das Hämmern der Maurer vergessen, die mit einer grauen Steinplatte
sein schlichtes Wandgrab verschlossen.
„Ciao Caro mio, io ti penso sempre.“
Ich werde Dich nie vergessen.
Oh ja, das muss auch in mein Testament rein: Ein Billardqueue sollen sie mir
mit in die Kiste legen. Diese Zeilen, ein Säckchen mit 5-Markstücken, eine
Schachtel halbierter Zigaretten, einige Zeugnisse, ein paar Spielkarten und
ein Billardqueue.
Jetzt muss ich ganz weit zurückgreifen in der Zeit, obwohl, nein, Zeit
dürfte drüben wohl keine Rolle spielen. Es gab da vor einigen Jahrzehnten,
ich war zwischen 0 und 3 Jahren alt, ein Kinderheim in Kassel und in dem
arbeiteten bestimmt einige nette Kinderschwestern.
Nun, da dieses Heim einmal mein zu Hause war, sollte ich mich eigentlich
daran erinnern. An das Heim und an die netten Kinderpflegerinnen. Warum kann
ich es aber nicht? Werde ich sie treffen, wenn ich drüben angekommen bin?!
Vielleicht werden sie mir dann auch erzählen, wie das war, als meine
Adoptiveltern zum ersten mal da waren um sich ein paar Kinder anzuschauen?
Wie das war, als sie mich, ich sie das erste mal gesehen habe? Wie das war,
als sie mich dann, ich mit einem Pappkarton unter dem Arm, wie das war, als
sie mich abgeholt haben. Sie haben es mir nie erzählt. Vielleicht sollte
ich...
Oh ja, das muss auch in mein Testament rein: einen Pappkarton sollen sie mir
in die Kiste legen. Diese Zeilen, ein Säckchen mit 5-Markstücken, eine
Schachtel halbierter Zigaretten, einige Zeugnisse,
ein paar Spielkarten, ein Billardqueue und einen Pappkarton mit
Kindersachen.
Mit U.S. Präsident John Fitzgerald Kennedy möchte ich mich unbedingt
unterhalten. Diesen Mann habe ich unheimlich verehrt, eigentlich ohne eine
große Ahnung zu haben, warum eigentlich.
Ich saß an diesem nebligen Novemberabend, es war Freitag, der 23. November
1963, elf Tage nach meinem 17. Geburtstag,
mit meinen Adoptiveltern gemütlich beim Kartenspielen. Fernsehen hat
man damals noch nicht so oft geschaut, und so lief irgendwas im Radio, kann
sogar Peter Frankenfeld gewesen sein. Plötzlich wird das Programm
unterbrochen:
“Auf den Präsidenten der Vereinigten Staaten von Amerika, John Fitzgerald
Kennedy, wurde vor wenigen Augenblicken ein Attentat verübt.“ Kurz darauf: “
John Fitzgerald Kennedy, der Präsident der Vereinigten Staaten von Amerika
ist tot.“
Wie gesagt, ich weiß nicht warum mich das so mitgenommen hat, ich habe
geweint und als ich dann die Bilder des Trauerzuges einige Tage später im
Fernsehen sah, konnte ich nicht verstehen, wie der Herrscher über unsere
westliche Welt jetzt auf einmal Platz in so einer zwar prunkvollen , doch
irgendwie jämmerlichen Kiste haben soll, genau wie viele Jahre später der
Bayerische Ministerpräsident Franz Josef Strauß.
Ich saß gerade im Auto um la Famiglia (Das waren damals mein bester Freund
Gino, seine Frau Anna und mein Patensöhnchen Maximilian. Waren deshalb, weil
heute noch die Töchter Francesca und Giulietta und der Nachzügler Vinzent
auf der Welt sind.) in der Schweiz zu besuchen, als die Meldung im Radio
kam. Das war am 3. Oktober 88. Eigenartig. Sterben alle großen Männer im
Herbst? Ja auch mit Franz Josef Strauß würde ich mich gerne unterhalten, ihm
erzählen, was aus seiner Partei so geworden ist.
Ich weiß gar nicht, wie man spricht da oben, vielleicht sollte ich...
Oh ja, das muss auch in mein Testament rein: eine mit Fragen besprochene
Kassette sollen sie mir mit in die Kiste legen. Diese Zeilen, ein Säckchen
mit 5-Markstücken, eine Schachtel halbierter Zigaretten, einige Zeugnisse
ein paar Spielkarten, ein Billardqueue, einen Pappkarton mit Kindersachen
und diese mit Fragen besprochene Kassette.
Wird langsam ganz schön voll mein Sarg, vielleicht sollte ich mir doch
lieber einen Laptop mit Sound- und ISDN-Karte reinlegen lassen? Ne, lieber
nicht, vielleicht sieht das einfach zu sehr nach „Marke Wichtig“ aus...
Dann muss ich den Lieben Gott etwas fragen: wie das mit Carmens
abgetriebenen Baby wirklich war. Carmen sagte zwar „Nein!“ als wir das
letzte mal zusammen waren, aber ich habe ihr das nie geglaubt. Ich wäre gern
der Vater gewesen, hätte es gerne aufwachsen gesehen.
Im jugoslawischen Porto Roz am
Adriatischen Meer war das, als ich sie einmal mehr fragte, als wir zum
letzten mal zusammen waren. Sie hatte mich in die Hölle geschickt und wollte
auf mich warten, bis ich sie durchlebt hatte, die Hölle Psychotherapie, die
ich wegen meiner vermeintlichen Eifersucht durchlebt hatte. Am Ausgang der
Hölle stand niemand und so fuhr ich nach Porto Roz, wo sie sich beruflich
aufhielt. Ich hätte mir beides ersparen können: Die Fahrt an die
Jugoslawische Küste war die
eigentliche durch die Hölle.
Und noch etwas muss ich den
Herrn fragen,: Wie war das mit dem Bagger, der Baumaschine die in der Nähe
unseres Hauses in Schotten stand. Lange Jahre haben mir meine Adoptiveltern
vorgeworfen, es wäre etwas schlimmes passiert und es wäre meine Schuld
gewesen; nur ich weiß nichts davon. Das ist schon alles sehr lange her, ich
muss so 9 Jahre alt gewesen sein, aber das hat nichts mit der
Vergesslichkeit des Alters zu tun, ich habe es auch damals nicht gewusst.
Verdrängt? Sie hätten es mir sagen müssen. Was auch immer passiert sein
soll, sie hätte es mir sagen müssen.
Und wo ist mein rotes Feuerwehrauto mit der riesigen Drehleiter abgeblieben?
Ich habe es nie wieder gefunden, nicht unter meinem Bett, nicht auf dem
kleinen Balkon, auf dem immer ein großer Blecheimer stand, dem ich die Narbe
rechts unten am Kinn zu verdanken habe, lieber Gott, wo ist mein
Feuerwehrauto geblieben?
Da ist noch jemand, den ich mein ganzes Leben lang nicht vergessen konnte.
Opa Schwetes, den alten Mann, den keiner mehr wollte und um den ich mich,
selbst wieder mal im Krankenhaus wohlfühlend,
gekümmert habe, bis, nein, leider nicht bis zu seinem Abschied vom
hier. Nein!
In dieser Stunde war er allein, der Mann, dem die Verwandten schon vorzeitig
Geld, Radio und sonstige Wertsachen genommen hatten.
So verdammt allein und ich gab mir die Schuld
daran. Und alles nur, weil mich mein Lehrherr wegen der Neueröffnung
seines Konfektionshauses für 2 Stunden zum verkaufen auf die Abteilung
geschleift hatte. Dabei tröstet es mich auch nicht, dass ich tatsächlich mit
meinen 18 Jahren sein bester Verkäufer war.
Doch ja, ich freue mich darauf Opa Schwetes wiederzusehen. Möchte ihm sagen,
wie leid es mir tat, als ich in die Klinik zurück gekommen bin und nur noch
sein leeres Zimmer vorgefunden habe. Das kleine Einzelzimmer mit eigener
Toilette, die er in seinen letzten Tagen so gerne noch benutzt hätte. Seine
Kraft aber reichte meistens nur noch bis ein, zwei Meter vor sein Bett.
Es war übrigens nicht das Einzelzimmer, in dem Schwester Elisabeth und ich
fast...
Tags zuvor hatten Opa Schwetes und ich uns noch ein Gläschen Bier gegönnt.
Das war so quasi sein letzter Wunsch, und die Ärzte brauchte ich auch gar
nicht mehr großartig zu überreden.
Oh ja, das muss auch in mein Testament rein: Eine Flasche Bier
sollen sie mir mit in die Kiste legen. Diese Zeilen, ein Säckchen mit
5-Markstücken, eine Schachtel halbierter Zigaretten, einige Zeugnisse ein
paar Spielkarten, ein Billardqueue, einen Pappkarton mit Kindersachen, diese
mit Fragen besprochene Kassette und eine Flasche Bier für Opa Schwetes.
P.S.: Vergesst bitte nicht meinen Kofferträgern ein gutes Trinkgeld fürs
schleppen zu geben; obwohl ich war ja mit meinen 1 Meter 90 und 64 Kilogramm
nie der Schwerste...
Eine Stadt
in der Stadt
jedes Haus
mit einem Namen verziert
Eine Stadt
in der Stadt
in jedem Haus
ein Mensch
der sich nicht geniert
mit seinen Nachbarn
in Frieden zu leben
obwohl das einmal anders war
Eine Stadt
in der Stadt
man hat was man braucht
Manchmal kommt jemand
stellt Blumen auf dein Haus
auf dein Haus
im Getto des Friedens