Es hat nicht funktioniert.

       oder

       Ich wäre so gern einmal ein guter Mensch gewesen.

Eine Kurzgeschichte von Colin Vaupel

Er saß auf einer Bank im Park. Ganz in schwarz gekleidet. Nein, nicht im Schwarz das man anzieht, wenn man Trauer trägt.
im modischen Schwarz saß er dort. Schwarzer Cordanzug, schwarzer Pullover, schwarze Schuhe. Er war groß, schlank, Oberlippenbärtchen, gepflegtes langes, mittelblondes Haar bis tief in den Nacken. Seine grünen Augen blickten eher deprimiert und sentimental als ernst.

Er mochte so an die 30 Jahre alt sein und er sah, ja er sah wirklich sehr traurig aus. Ob ihn seine Frau oder Freundin verlassen hatte? Nein. Auf der anderen Seite machte er eigentlich nicht den Eindruck, als würde er wegen einer einzigen Frau die übrige Damenwelt meiden. Das mit seinem traurigen Blick mußte einen anderen Grund haben.

Die restlichen Parkbänke waren so ziemlich besetzt und zwar ausschließlich von älteren Damen. Und ältere Damen haben ja erfahrungsgemäß einen sehr starken Drang zum Tratschen, sind also, vornehmer ausgedrückt, meist allzu gesprächig.Deshalb bevorzugte ich es, mich auf die Bank des jungen Herren ganz in Schwarz zu setzten.
Ich weiß gar nicht so recht, was mich überhaupt dazu veranlaßt hat, mich mit diesem doch fremden Menschen zu beschäftigen. Ich kannte ihn nicht, hatte ihn nie vorher gesehen und brauchte mich also auch gar nicht mit ihm zu befassen, mich nicht für ihn zu interessieren.

Nun, ich glaube, ich wollte einfach unbedingt wissen, warum ein so junger Mensch wie er, und noch dazu im Frühling, so tief deprimiert zwischen alten Leuten auf einer Parkbank sitzt.
Ich überlegte also angestrengt, wie ich mit ihm ins Gespräch kommen könnte. Nicht etwa aus purer, alten Menschen eigenen Neugierde heraus, nein. Ich dachte mir lediglich, dass es einem jungen einsamen Menschen, der sehr bedrückt wirkt, helfen könnte, wenn er einfach nur mal mir jemandem reden würde. Das es hilfreich für ihn sein könnte, wenn ihm einfach mal nur jemand zuhören würde. Nun ja, wie ich eben so am überlegen war, wie fange ich es an, da stand er einfach auf und ging seines Weges.

Er schlenderte, die Hände tief in den Taschen seiner Hose versenkt, gelangweilt seines Weges. Steine, als Ersatz für einen Fußball, vor sich hinkickend ging er weiter in die Richtung, die ihn zu der alten Brücke führen müßte.

Und ich? Der alte Mann? Ich beschloß ihm einfach zu folgen.  

Ich weiß heute nicht mehr genau warum ich das getan habe. Vielleicht war es wirklich nur die Neugierde eines fast schon greisen Mannes, der nichts Besseres zu tun hat, als jungen Leuten auf die Nerven zu gehen. Auf der anderen Seite glaubte ich aber wahrscheinlich doch noch eine Chance zu bekommen mit ihm ein Gespräch zu beginnen. Ich suchte einfach nach einer Erklärung für seine Traurigkeit und so zündete ich mir also ein Zigarrchen an und stapfte, genüßlich vor mich hinpaffend, hinter ihm her. Auf der Brücke blieb er stehen und starrte in den Fluß.

"Nein, nein, um Gottes Willen nein, nicht springen!"

Er drehte sich um als er meinen Schrei gehört hatte und sah mich mit einiger Verwunderung an. Dann schüttelte er, amüsiert lächelnd über mich,  den Kopf und ging weiter in Richtung Parkausgang.

Und ich? Enttäuscht starrte ich ihm nach. Enttäuscht, weil ich nicht mit ihm in ein Gespräch gekommen war? Enttäuscht, weil er nicht gesprungen ist und ich ihn nicht retten konnte? Enttäuscht, weil mir die Chance genommen wurde, einmal ein guter Mensch zu sein? Ich ging dann selber auf die alte Holzbrücke, die wie ein Relikt aus vergangener Zeit aussah, fast gänzlich von steinalten Trauerweiden umhüllt.

Als ich dann auf ihr stand zog mich der müde dahin ziehende Fluß wie ein Magnet an. Und als ich dann genauer hinsah, wußte ich auf einmal eine Antwort auf all meine Fragen.

Nachwort:

Was ich im Spiegelbild des Wassers erblickte? 

Einen alten Herren habe ich gesehen: Schwarzer Cordanzug, schwarzer Pullover, schwarze Schuhe. Er war groß, schlank, Oberlippenbärtchen, gepflegtes langes, schon ziemlich graues Haar bis tief in den Nacken. Seine grünen Augen blickten, eher deprimiert und sentimental als ernst, auf dieses Spiegelbild ...

Ich habe meine eigene Jugend, habe mich selbst gesehen. Da habe ich gewußt, daß der junge Mann ich war, da wußte ich, ich hatte versucht meine Jugend zurücknzuholen ... es hat nicht funktioniert und vielleicht ist das auch gut so.

 

Ó Colin-Aleksander Vaupel – 26. Donnerstag, 9. September 1993